Veränderungen als Lernsituationen verstehen

«Der bewusste Erhalt der Handlungsfähigkeit bildet die Grundlage einer stabilen Gesundheit.»

Malte Osthagen, Geschäftsführer von CeKom Schweiz und Trainer mit langjähriger Erfahrung, erklärt im Interview, weshalb die Selbstorganisationsfähigkeit eines Menschen in der heutigen Arbeitswelt so wichtig ist und welche Fähigkeiten von Führungspersonen gefordert sind.

 

Wenn sich ein Mensch für eine Neuorientierung entscheidet, hat er oft bereits eine lange Leidenszeit hinter sich. Wie entwickelt man sich am besten weiter, bevor einem die äusseren Umstände dazu zwingen? 

Neuorientierung kann selbstgewählt oder auferlegt erfolgen. Selbstgewählte Neuorientierung stellt sicherlich die komfortablere, wenn auch nicht unbedingt leichtere Ausgangslage dar. Auferlegte Neuorientierung ist oftmals das Resultat einer Reorganisation im Unternehmen oder sie erfolgt, weil die Rückkehr an den angestammten Arbeitsplatz nach einem Unfall oder einer Erkrankung nicht mehr möglich ist. Letztere lässt sich nur bedingt beeinflussen – was den individuellen Leidensdruck bei den Betroffenen erhöht. Grundsätzlich vertrete ich die Ansicht, dass es «Sicherheit» und «Planbarkeit» im Leben eines Menschen immer weniger gibt. Wir streben zwar nach Sicherheit, die heutige Lebens- und Arbeitswelt erfüllt uns diesen Wunsch aber nicht mehr. In meinen Beratungen befähige ich Menschen, mit Unsicherheiten umzugehen und handlungsfähig zu werden. So lernen sie, Veränderungen als festen Bestandteil ihres Lebens zu akzeptieren und sich in diesem Umfeld unter Einbezug ihrer Fähigkeiten und Stärken zu bewegen. 

Dies setzt eine kritische Selbstwahrnehmung und eine gezielte Selbstentwicklung voraus. Nicht alle Menschen beherrschen das Alphabet des Selbstmanagements. Ist Mitarbeiterentwicklung hauptsächlich eine Führungsaufgabe?

Diese Haltung ist aus meiner Sicht überholt und legitimiert Mitarbeitende zur Passivität. Führungskräften kommt in der heutigen Zeit die Aufgabe zu, Mitarbeitende gemäss ihren vorhandenen Fähigkeiten und Stärken einzusetzen und in ihrer Entwicklung in Bezug auf gemeinsam gesetzte Ziele zu fördern. Und zwar nicht mehr nur mittels Weiterbildungen. Entwicklung beinhaltet heute auch die Übertragung von Funktionen und Verantwortlichkeiten ausserhalb der bisherigen Tätigkeit, in Absprache mit dem Mitarbeitenden. Hierbei fungiert der Vorgesetzte als Sparringpartner und begleitet den Mitarbeitenden in seinen Entwicklungsschritten.

Zudem haben Menschen in der heutigen Arbeitswelt die eigenverantwortliche Aufgabe, sich selbstorganisiert den Herausforderungen zu stellen. Darin Unsicherheiten zu verspüren, ist legitim. Diese gilt es als ersten Schritt der Selbstentwicklung anzuerkennen und daraus Handlungen abzuleiten. 

Wie können Führungspersonen ihre Mitarbeitenden durch einen Veränderungsprozess begleiten und die Neugier an neuen Themen wecken?

Neugier entsteht dadurch, dass uns jemand begeistert oder mit Offenheit dazu einlädt, etwas Neues oder Unbekanntes kennenzulernen. Wir sprechen im Arbeitskontext auch von der «emotionalen Labilisierung». Wenn wir aus uns selbst heraus den Wunsch verspüren, Neues genauer zu betrachten und die grundlegende Bereitschaft haben, einen (Veränderungs-)Schritt zu wagen, dann erschliessen wir uns einem neuen Themenbereich sehr schnell und mit Lust und Freude. Führungskräften kommt die Funktion zu, ihre Mitarbeitenden zu motivieren und zu begeistern. Hier «kranken» viele Unternehmungen in der Praxis. Dabei sind Werte wie Glaubwürdigkeit, Loyalität und Humor von zentraler Bedeutung. In vielen Unternehmen werden diese wesentlichen Werte von der Unternehmensleitung viel zu wenig gewichtet und gelebt. Führungskräfte stecken dadurch oft in einem Dilemma, und dies stellen die Mitarbeitenden fest. Dadurch entstehen Unsicherheit und Ablehnung – die grössten Verhinderer von Veränderungsprozessen.

Das erfordert auch für viele Führungspersonen ein Umdenken und neue Kompetenzen. Wie schafft eine Führungsperson den Schritt von der Kontrolle zum Empowerment? 

Menschen in ihrer Entwicklung zu begleiten, schliesst Kontrolle nicht aus. Der Begriff ist leider zu oft negativ behaftet. Dank Kontrolle erlangen wir Sicherheit, fühlen uns aufgehoben und können Entwicklungsschritte messbar und somit überprüfbar machen. Wo bei Führungskräften früher vor allem Fach- und Methodenkompetenzen gefragt waren, sind es heute andere Fähigkeiten. Eine Führungskraft muss in der Lage sein, ihre Mitarbeitenden gemäss deren Kompetenzen ein- und interdisziplinäre Teams zur Bewältigung von Aufgaben zusammenzusetzen. Sie muss den Prozess im Auge behalten, um notfalls frühzeitig steuernd einzugreifen. Dies setzt eine gute Kontaktsituation mit den Menschen voraus, die gepflegt werden muss. Die Führungskraft von heute sollte Werte wie Glaubwürdigkeit und Loyalität vermitteln und vorleben. Das klingt vielleicht etwas nach «fühl mich – spür mich», ist es aber keineswegs. Unternehmen, die ihre Führungskräfte dahingehend trainieren, stellen eine erhöhte Produktivität, weniger Fluktuation und zudem eine Verringerung der krankheitsbedingten Absenzen fest. Alles Faktoren, die den Unternehmenserfolg positiv unterstützen. 

Welches sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Kompetenzen, über die man in Zukunft verfügen muss, um langfristig auf dem Arbeitsmarkt interessant zu bleiben? 

Die Arbeitswelt von heute ist dynamisch, Situationen und Entwicklungen werden schwerer vorhersehbar, Stabilität in der eigenen Befindlichkeit und Leistungsfähigkeit zu bewahren, ist anspruchsvoll. Hier nehmen die Aktivitäts- und Handlungskompetenzen eines Menschen eine zentrale Rolle ein. Sie steuern die Selbstorganisationsfähigkeit eines Menschen. Diese ermöglicht es einer Person, körperlich und geistig mobil zu bleiben und sich so den Herausforderungen des Arbeitsalltages optimistisch und ergebnisorientiert zu stellen. Zudem bildet der bewusste Erhalt der Handlungsfähigkeit die Grundlage einer stabilen Gesundheit. 

Wie wichtig ist die «Digital Fluency», die digitale Gewandtheit?

Sich den Einflüssen der digitalen Welt zu entziehen, ist heute kaum noch möglich. Auch für die Generation 50+ ist dies eine Realität. Digitale Gewandtheit hat viele Gesichter. In der Arbeitswelt sind die Anforderungen hierzu sehr unterschiedlich. Es geht darum, Veränderungen als Lernsituationen zu verstehen und das Handeln darauf hin auszurichten. Also auch zu erkennen, in welchem Masse ich mir Fähigkeiten und Kenntnisse aneignen muss, um mit den Anforderungen zukunftsgerichtet umgehen zu können. 

Ist das eine Kompetenz, die sich alle aneignen können?

Sich etwas anzueignen setzt emotionale Labilisierung voraus. Ich muss den Wunsch verspüren, mir etwas (Wissen, eine Fähigkeit etc.) anzueignen. Das ist die optimale Ausgangslage. Oftmals müssen wir uns aber auch etwas aneignen, das wir als wenig sinnvoll erachten. Dann gilt es, dies unter dem Aspekt der eigenen langfristigen Zielsetzungen und Vorstellungen zu betrachten, um das Erschliessen neuer Inhalte nicht zur Tortur werden zu lassen. Wenn ich eine grundsätzliche Bereitschaft habe, mich mit den Anforderungen und Themen der digitalen Gewandtheit auseinanderzusetzen, eigne ich mir entsprechende Fähigkeiten im Umfang des Notwendigen an. 

Viele Stellenprofile werden in fünf Jahren anders aussehen als heute, einige wird es nicht mehr geben, dafür kommen neue hinzu, die wir noch gar nicht kennen. Wie gehen Unternehmen und Mitarbeitende mit dieser Unsicherheit am besten um?

Hierzu gibt es einen sehr empfehlenswerten YouTube-Kanal «Shift happens – Did you know». Er zeigt aktuelle, reale Veränderungen und Entwicklungen in verschiedenen Lebensbereichen anhand von Facts auf, die regelmässig aktualisiert werden.

Es gilt, sich den Entwicklungen und Themen offen, initiativ und auch optimistisch zu stellen. Vieles wird auch hier nicht so heiss gegessen, wie es gekocht wird. Unternehmen tun gut daran, sich zukunftsoffen aufzustellen und ihre Mitarbeitenden dahingehend zu fördern und entwickeln, gemeinsam den Weg der notwendigen Veränderungen zu gehen. Formale Qualifikationen bilden hierbei nur einen kleinen Teil. Es geht vielmehr darum, den Weg der Veränderungen schrittweise zu gehen, zu wissen, wer die Bereitschaft hat, diesen Weg zu beschreiten und mittels Motivation, Offenheit, Leichtigkeit und Humor Menschen dazu zu befähigen, neue Anforderungen anzunehmen und mitzugestalten. 

Was raten Sie Unternehmen, die sich mit dem Thema Organisationsentwicklung beschäftigen? Empfehlen Sie die Begleitung eines externen Partners oder lieber den Aufbau der Kompetenzen im Unternehmen? 

In meiner Praxis erlebe ich oft, dass es zu Beginn eines Veränderungsprozesses günstig ist, wenn ein externer Partner beigezogen wird. Er erleichtert das Anschieben der notwendigen Prozesse, entlastet die Verantwortlichen im Unternehmen von der Verantwortung der Legitimierung und ermöglicht es ihnen, den Entwicklungsprozess als Beteiligter und nicht als Steuernder mitzugestalten. Es dürfen keinesfalls 0815-Lösungen sein. Die individuelle Situation der Unternehmung und ihrer Zielsetzungen gilt es sorgfältig zu erheben und daraus Handlungsschritte abzuleiten. Anschliessend müssen die Schlüsselpersonen befähigt werden, die Entwicklungen betriebsintern umzusetzen. Hier nimmt ein externer Partner dann die Rolle des Prozessbegleiters ein. Diese Vorgehensweise hat sich in vielen Unternehmen meiner Berufspraxis bewährt.

 


Die Klubschule Migros fördert die Auseinandersetzung mit den eigenen Kompetenzen. Zusammen mit Malte Osthagen hat sie das weltweit einzigartige KODE® (KOmpetenzDiagnostik und –Entwicklung) Analyseverfahren zur direkten Messung individueller Handlungsfähigkeiten entwickelt. Erfahren Sie mehr, machen Sie den Check und begegnen Sie den aktuellen Herausforderungen noch kompetenter.

Die regionalen Berater und Beraterinnen der Klubschule Migros, spezialisiert auf Firmenkunden und Firmenkurse, freuen sich auf Ihre Anfrage.

 

 

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