Neue Arbeitsformen erfordern neue Kompetenzen

Interview mit Barbara Josef, Mitgründerin der Firma 5to9

Wie verändert die Digitalisierung die Mitarbeiterführung, welche Fähigkeiten braucht es in Zukunft? Barbara Josef beschäftigt sich intensiv mit dem Thema neue Arbeitswelten und der Arbeit der Zukunft. Im Gespräch gibt die Mitgründerin der Firma 5to9 spannende Einblicke in ihre Erkenntnisse.

Barbara Josef

Frau Josef, mittlerweile befinden sich viele Unternehmen inmitten der Digitalisierung. Welches sind die grössten Herausforderungen für KMU in Bezug auf die Mitarbeiterführung?

Die digitale Transformation umfasst Veränderungen auf der Ebene Geschäftsmodelle, Prozesse und Kultur. Die Veränderung und Gestaltung der Unternehmenskultur ist in meinen Augen die grösste Herausforderung. Der Führung kommt dabei eine Doppelrolle zu: Zum einen müssen die Vorgesetzten die Veränderungen anstossen und begleiten, zum anderen befinden sie sich selber mitten in einem Transformationsprozess. Ihre Daseinsberechtigung wird stark hinterfragt, und sie müssen sich unter anderem aktiv mit den Themen Macht- und Kontrollverlust auseinandersetzen.

Wie kann eine Firma die Mitarbeitenden auf die technischen und sozialen Veränderungen vorbereiten, damit sie Schritt halten können?

Dazu zwei Dinge: Zum einen glaube ich, dass es primär in der persönlichen Eigenverantwortung liegt, sich laufend selber «upzudaten» und neugierig zu bleiben. Zum andern bin ich sehr skeptisch, was die bestehenden betrieblichen Weiterbildungen betrifft – diese sind immer noch zu stark auf Wissensvermittlung ausgerichtet und greifen zu kurz, wenn es um die Stärkung von Zukunftskompetenzen wie Kreativität, Kommunikation, kritisches Denken und Kollaboration geht.

Ich finde Formate und Initiativen wie Job Rotation, Reverse Mentoring, Intrapreneurship-Initiativen, gezielte Kollaborationen mit Externen, Labs, Experimente etc. am spannendsten, wenn es darum geht, Neues kollaborativ und in einem reellen Kontext zu erlernen.

Nicht zuletzt sollte man das Thema ganzheitlich angehen, d.h. auch das Talent Mangement, die Mitarbeiterbeurteilung und Anreizsysteme sollten Neugierde und Lernen fördern und entsprechend transparent abbilden.

Die Worte Agilität und Flexibilität fallen immer sofort im Zusammenhang mit der digitalen Transformation. Was bedeuten die neuen Möglichkeiten für den einzelnen Mitarbeitenden?

Flexible Arbeitsformen ermöglichen den Mitarbeitenden eine bessere Vereinbarkeit von beruflichen und privaten Prioritäten. Darüber hinaus zeigt die Selbstbestimmungstheorie von Richard M. Ryan und Edward L. Deci auf eindrückliche Weise, dass Autonomie bezüglich der Arbeitsgestaltung ein enormer Treiber von Motivation ist. Ich bin überzeugt, dass gegenseitiges Vertrauen und das Gewähren von Autonomie enorm viel zur Zufriedenheit, Leistungsbereitschaft und persönlichen Weiterentwicklung beitragen.

Gemäss aktuellen Studien fühlen sich Mitarbeitende heute gestresster als früher aufgrund der ständigen Erreichbarkeit und Verbundenheit. Wie können Führungskräfte ihre Teams vor Überforderung schützen?

Grundsätzlich bin ich nicht der Meinung, dass Führungskräfte die Mitarbeitenden schützen müssen; dies sollte nur der Fall sein, wenn die Eigenverantwortung versagt, bzw. eine Kultur so toxisch ist, dass die natürlichen Schutzmechanismen ausgehebelt werden.

Eine der zentralen Themen für Wissensarbeiter, die jederzeit und von überall aus arbeiten können, ist das «Boundary Management». Damit bezeichnen Arbeitspsychologen die Fähigkeit, zwischen Arbeit und Privatleben in dem Ausmass Grenzen zu ziehen, wie sie dem Individuum gut tun. Im letzten Satz steckt auch die Schwierigkeit: das Bedürfnis, Grenzen zu ziehen, ist abhängig von der Persönlichkeit, aber auch der Lebenssituation.

Grundsätzlich kann man zwischen «Integrierern» und «Separierern» unterscheiden. Während Integrierer Arbeit und Freizeit mischen möchten – z.B. an einem kurzen Wintertag am späten Nachmittag joggen gehen, dafür abends oder am verregneten Wochenende arbeiten – wollen Separierer Arbeit und Freizeit möglichst strikt trennen, räumlich und zeitlich. Eine zentrale Herausforderung der Führung ist, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu thematisieren und eine Kultur zu schaffen, in welcher auf diese Rücksicht genommen wird.

« Die Fähigkeit, Grenzen zu ziehen, hat sehr viel mit Vertrauen und dem Gefühl von Sicherheit zu tun. In einer Kultur, wo jeder auf die nächste Entlassungswelle wartet, ist es schwierig um 16.00 Uhr zu sagen: «Ich gehe jetzt ins Yoga». »

Benötigen auch Führungskräfte neue Kompetenzen für diesen «Digital Leadership»?

Ob die Fähigkeiten nun für alle neu sind, möchte ich offen lassen. Aber ich denke, dass den Themen Selbstreflexion, Empathiefähigkeit und Kreativität – nicht im künstlerischen Sinne, sondern im Lösen von neuen und komplexen Fragen – in Zukunft eine noch grössere Bedeutung zukommt.

Momentan «en vogue» ist natürlich auch die Transformationskompetenz, d.h. die Fähigkeit, Organisationen und Geschäftsbereiche gezielt weiterzuentwickeln. Natürlich zählte das schon immer zu den Führungskompetenzen, aber aufgrund der hohen Veränderungsdynamik steht das Thema noch stärker im Fokus.

Über welche drei Fähigkeiten sollte man unbedingt verfügen, um in Zukunft mithalten zu können? Und wie kann man sich diese aneignen?

Das würde ich ganz banal mit Neugierde, kritisches Denken und Eigeninitiative beantworten. Momentan sprechen alle Führungskräfte davon, dass sie nicht mehr nach «skills» rekrutieren möchten, sondern nach «attitude», d.h. nicht die Erfahrung und Fähigkeiten zählen, sondern die persönliche Einstellung, insbesondere gegenüber Neuem.

Zum einen gefällt mir der Gedanke, dass ein Mensch mit der richtigen Einstellung alles machen und erreichen kann – vorausgesetzt, es herrscht eine Kultur des Vertrauens und sich gegenseitigen Förderns. Zum andern habe ich bei dieser Aussage immer den renommierten Arbeitspsychologen und ETH Professor Theo Wehner im Ohr, der davor warnt, dass wir alles «verpsychologisieren» und in die Köpfe der Menschen schauen wollen, statt Arbeit einfach anständig zu gestalten und auf den eigenen Beitrag zu einem motivierenden Umfeld zu achten.

Barbara Josef
Seit Januar 2016 ist Barbara Josef in der Firma 5to9 tätig. Von Februar 2008 bis November 2015 war sie Leiterin Kommunikation und Mitglied der Geschäftsleitung bei Microsoft Schweiz. Sie ist Mitinitiantin des «Home Office Day», der heute unter dem Label «Work Smart» weitergeführt wird.

 

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