Über Fehler und Feedbacks – im Gespräch mit Oliver Müller

Der Schlüssel zur Entwicklung von Mitarbeitenden und Unternehmen

Oliver Müller ist Co-Founder von «Study Garden», einer Organisation für betriebliche Weiterbildung und selbstorganisiertes Lernen. Der Fachmann erklärt, warum Fehler machen gut sein kann, und wie man das Potenzial von kritischen Feedbacks nutzt.

Oliver Müller

Herr Müller, als Experte wissen Sie, wie eine vertrauensvolle und offene Umgebung aussehen muss. Können Sie uns dies erläutern?

Für Mitarbeitende bedeutet dies, dass sie frei von Angst vor möglichen Sanktionen auch unangenehme Dinge ansprechen können. Google nennt dies «psychologische Sicherheit.» So hat eine Studie des Techgiganten gezeigt, dass nicht – wie man vielleicht erwarten würde – eine gute Zusammensetzung komplementärer Fähigkeiten im Team zu mehr Produktivität führt, sondern eben diese psychologische Sicherheit. Mitarbeitende brauchen diesen «festen Boden», denn nur so können sie Fehler eingestehen, ohne dass jemand mit dem Finger auf sie zeigt. Gleiches gilt für Missstände. Nur wenn man diese offen ansprechen darf, kann möglichst schnell etwas dagegen unternommen werden. Ist dies nicht der Fall, läuft ein Unternehmen Gefahr, dass Teams immer wieder dieselben Fehler begehen, obwohl jeder weiss, dass es anders besser laufen würde. Wenn aber niemand den Mut hat, dies anzusprechen, bleibt alles beim Alten.

Welche Rolle spielen die Mitarbeitenden?

Den Mitarbeitenden muss klar sein, wie sie einen Beitrag leisten und allenfalls auch etwas bewegen können. Bleibt es ihnen verwehrt, aktiv etwas zu bewirken, ist eine transparente Kommunikation essentiell. Wenn Teammitglieder erfahren, wie Entscheidungen zu Stande gekommen sind, können sie nachvollziehen, weshalb man so gehandelt hat und nicht anders. Die Akzeptanz ist somit weitaus grösser, selbst wenn die eigene Meinung davon abweicht. Allerdings ist es wichtig, dass diese Haltung konsistent gelebt wird, denn nur so bleibt das Vertrauen erhalten. Wird nur ein- oder zweimal von den vereinbarten Grundsätzen abgewichen, hat man das Vertrauen verspielt und beginnt wieder bei null.

Sie haben das offene Ansprechen von Fehlern im Team angeschnitten. Was sind in Ihren Augen die Vorteile einer solchen Unternehmenskultur?

Ganz klar das schnelle Lernen. Fehler passieren. Wichtig ist aber nicht nur, dass man diese machen darf, sondern auch, dass man daraus lernt. Denn Fehler bieten eine effektive Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln. Wird diese Kultur gelebt, gibt es keine Fehler mehr im eigentlichen Sinn, sondern Lerngelegenheiten. Das beschleunigt die Entwicklung einer Organisation immens. Ich empfehle alle zwei Wochen einen Austausch im Team, um auf «Fehler» und ungenutztes Potenzial hinzuweisen, sich gegenseitig zu unterstützen und daraus zu lernen. Aus diesem Vorgehen resultieren Veränderungen und Anpassungen, die ein Team positiv beeinflussen.
Aber eine offene Feedbackkultur hilft auch, Spannungen frühzeitig zu erkennen. Das Modell Holacracy, das für agiles Organisieren und Arbeiten steht, fordert Mitarbeitende dazu auf, schriftlich festzuhalten, wo sie in ihrem Arbeitsalltag Unsicherheit oder Spannung empfinden. Diese Notizen werden in die Agenda der regelmässigen Meetings aufgenommen, als Feedback behandelt und gemeinsam besprochen. So werden Ungereimtheiten frühzeitig erkannt und Spannungen gelöst. Mit dieser Methode ist das Diskutieren auf einer sachlichen
Ebene wesentlich einfacher, als wenn verhärtete Konflikte mühsam aufgearbeitet werden müssen.

Wie hängen Unternehmen, ihre Mitarbeitenden und regelmässige Feedbacks zusammen?

Mitarbeitende fungieren als Augen und Ohren der Organisation, bringen die Schwachstellen als Feedbacks ein und tragen so zur Entwicklung des Unternehmens bei. Insofern sind Feedbacks der Schlüssel zu mehr Agilität, weil sie ein schnelles Reagieren auf Situationen erst möglich machen. Gleichzeitig stellt dieses Konzept eine Herausforderung an die Veränderungsbereitschaft jedes Einzelnen dar. Manche reagieren darauf mit Angst, andere mit Widerstand. Wer es jedoch schafft, daraus Kraft für die eigene Weiterentwicklung zu schöpfen, bleibt am Puls der Zeit und somit auch erfolgreich.

Sie haben über den Effekt von Feedbacks in selbstorganisierten Unternehmen gesprochen. Wie sieht das bei Firmen aus, die dieses Konzept noch nicht verfolgen?

Organisationen, die nicht bereit sind, aus Feedbacks zu lernen und diese auf struktureller Ebene einfliessen zu lassen, verzichten auf viel Potenzial. Es ist unumstritten, dass Feedbacks für die persönliche Entwicklung hilfreich sind. Ich denke jedoch, dass in herkömmlich organisierten Firmen der Zusammenhang zwischen einem Feedback von Mitarbeitenden und dem Erfolg des Unternehmens weniger relevant ist.

Können Sie das etwas genauer ausführen?

Klassische Feedback-Prozesse funktionieren in der Regel immer noch von oben nach unten. Die Führungsperson erwartet, dass sich der Einzelne so verändert, dass er wieder in die Struktur des Unternehmens passt. Damit das Feedback-Konzept erfolgreich ist, braucht es jedoch beide Seiten. Denn kann der Mitarbeitende nicht auch auf die Strukturen des Unternehmens einwirken, gerät das System ins Ungleichgewicht. Warum soll jemand ein Feedback annehmen, daraus lernen und sich weiterentwickeln, wenn er vom Unternehmen ausgebremst wird? In den meisten Fällen werden sich solche Mitarbeitenden nach einem anderen Arbeitgeber umsehen, wo sie sich besser einbringen und entfalten können.

Welche Feedbacks sind in einer klassischen Organisation wichtiger: positive oder kritische?

Hier sind es eher die positiven Feedbacks. Denn sie helfen den Mitarbeitenden, ihre Stärken zu erkennen und sich auf dieser Basis weiterzuentwickeln.

Und wie verhält es sich in selbstorganisierten oder agilen Unternehmen?

Dort löst sich die Unterscheidung zwischen positiven und kritischen Feedbacks auf. Es geht vielmehr um persönliche Beobachtungen, die – und das ist natürlich wichtig – möglichst urteilsfrei vermittelt werden. Ob diese Botschaft als positiv oder kritisch verstanden wird, liegt im Ermessen desjenigen, der das Feedback erhält. Der eine nimmt den Input defensiv auf, der andere wertet ihn als spannende Gelegenheit, um etwas zu lernen.

Was gilt es bei kritischen Rückmeldungen zu beachten?

Es ist wichtig, dass Feedbacks situativ und mit Beispielen untermauert sind. Wie bereits erwähnt, sollte eine Rückmeldung stets urteilsfrei abgefasst sein, sonst verlässt man die allgemeine Ebene und wird persönlich. Kritische Punkte und Anmerkungen werden einfacher akzeptiert, wenn sie anhand eines Beispiels formuliert werden. Ich empfehle hierfür die gewaltfreie Kommunikation.

Bei Feedbacks spielen doch immer auch Emotionen und Gefühle mit. Können Sie dazu etwas sagen?

Ja, Emotionen spielen eine grosse Rolle. Um auf der sachlichen Ebene zu bleiben, helfen folgende vier Schritte: Als Erstes teilen Sie Ihre Beobachtung mit. Danach erklären Sie, wie Sie sich dabei fühlen. Im dritten Schritt erläutern Sie die Situation, die Sie als unbefriedigend empfinden. Und zuletzt formulieren Sie Ihren Wunsch. Dadurch, dass Sie einen Wunsch formulieren, geben Sie dem Gegenüber die Möglichkeit, zu entscheiden, ob er das Feedback annimmt und bereit ist, dem Wunsch nachkommen, oder nicht. Statt Befehle zu erteilen, ermöglicht diese Form eine Kommunikation auf Augenhöhe.
Meiner Erfahrung nach ist es jedoch für viele schwer, aus der eigenen Perspektive heraus zu urteilen, also von sich selbst auszugehen. Für den einen und anderen ist es auch gewöhnungsbedürftig, die eigenen Gefühle zu formulieren. Aber wenn man es schafft, kann das unglaublich entwaffnend wirken und eine Situation total verändern. So können Diskussionen auf einer ganz neuen Ebene stattfinden.

Wie könnte eine solche Aussprache aussehen?

Ich gebe Ihnen ein reales Beispiel, wie sich ein Teammitglied äussern könnte:
«Mir ist aufgefallen, dass du heute zu spät im Meeting erschienen bist. Dasselbe ist bereits vor drei Tagen und vor einer Woche geschehen. Das trifft mich, weil ich mich nicht ernst genommen fühle. Ich wünsche mir, dass du mich als gleichwertige Person respektierst. Dazu gehört eben auch die Pünktlichkeit. Wäre es möglich, in den nächsten Meetings pünktlich zu erscheinen, damit ich mich besser fühle?»

Gibt es Regeln für ein Feedback?

Die gewaltfreie Kommunikation ist ein guter Leitfaden. Ergänzend möchte ich folgende Leitplanken nennen:
Das Feedback spiegelt meine Sicht wider. Es entspringt dem ehrlichen Interesse, eine Lösung zu finden.
Feedbacks dürfen keine Hidden Agenda haben, um beispielsweise Menschen zu manipulieren. Das Feedback muss ehrlich und authentisch sein.
Ein Feedback entsteht aus der Situation und der Beobachtung, jedoch nie aus der Emotion heraus.

Wie geht man mit einem Feedback um?

Am besten reagieren Sie mit Neugier, Mitgefühl und Dankbarkeit. Das hört sich vielleicht im ersten Moment etwas speziell an, aber diese Pfeiler haben sich bewährt.
Zeigen Sie Interesse am Inhalt und achten Sie auch auf die eigene Reaktion, die diese Rückmeldung bei Ihnen auslöst. Warum freuen Sie sich oder warum werden Sie allenfalls wütend? Wenn Sie sich dessen bewusst sind, können Sie richtig auf das Feedback reagieren und daraus lernen. Versetzen Sie sich in die Lage der feedbackgebenden Person. Warum gibt sie mir diesen Input? Gehen Sie davon aus, dass sie Ihnen auf ihre Weise helfen möchte, und versuchen Sie Verständnis und Mitgefühl zu zeigen. So fällt es Ihnen viel
leichter, ein Feedback anzunehmen. Mehr noch, seien Sie dankbar, dass sich jemand Zeit genommen hat, seine Beobachtungen und Gefühle mit Ihnen zu teilen. Denn jedes Feedback bietet Ihnen die Chance, sich selbst, Ihr Team und das Unternehmen weiterzuentwickeln.

Können Sie zum Schluss zusammenfassen, was ein wertvolles Feedback ausmacht?

Erstens: Bleiben Sie bei Ihrer eigenen Perspektive, und vermeiden Sie jegliche Anschuldigungen.
Zweitens: Prüfen Sie Ihre Absichten. Wollen Sie mithelfen, dass sich eine Person weiterentwickeln und entfalten kann?
Und drittens: Greifen Sie nicht ein, sondern überlassen Sie die Verantwortung für das Resultat jener Person, die das Feedback erhalten hat. So verhindern Sie, dass daraus ein Befehl wird.

Vielen Dank für das Interview, Herr Müller.

 

Autoren: Diana Osei / Supertext


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