Grundkompetenzen effektiv fördern

«64% der Personen, die einen Lernbedarf in den Grundkompetenzen haben, sind erwerbstätig.»

Cäcilia Märki ist Leiterin Grundkompetenzen beim Schweizerischen Verband für Weiterbildung SVEB. Sie hat zwei GO Projekte geleitet und ist gemeinsam mit dem SBFI und dem DVLS dafür zuständig, den Förderschwerpunkt bei der Wirtschaft bekannt zu machen.

Rund 800'000 Erwachsene in der Schweiz verfügen über ungenügende Lese- und Schreibfähigkeiten. Über 400'000 Personen haben grosse Schwierigkeiten, einfache Rechenaufgaben zu lösen und schätzungsweise 1.5 Millionen Menschen verfügen über keine oder geringe Kompetenzen in Informations- und Kommunikationstechnologien (Stand 2006).

Frau Märki, welche Personen sind davon betroffen und was bedeutet es für sie?

Obwohl diese Zahlen schon vor ein paar Jahren erhoben wurden, zeigen sie die Grössenordnung auf. Besonders relevant scheint mir in diesem Zusammenhang, dass 64% der Personen, die einen Lernbedarf in den Grundkompetenzen haben, erwerbstätig sind.

Wir können davon ausgehen, dass betroffene Personen bei Tätigkeiten im Alltag und am Arbeitsplatz Mühe haben, wenn sie sich mündlich ausdrücken, wenn sie lesen oder schreiben oder rechnen müssen oder eine Informations- und Kommunikationstechnologie verwenden. Trotzdem meistern die Betroffenen ihren Alltag und ihr Arbeitsleben, sie kommen zurecht und bewältigen ihre Arbeit.

Insbesondere wenn es Veränderungen gibt, kann es sein, dass die vorhandenen Kompetenzen nicht mehr ausreichen. Das ist ja auf allen Qualifikationsstufen so, wenn die Anforderungen steigen, dann gibt es Handlungs- beziehungsweise Lernbedarf. Wer allerdings das Lernen nicht gewohnt ist, dem fehlen oft die geeigneten Strategien.

Es kann zum Beispiel sein, dass Personen mit Migrationshintergrund sich auf Schweizerdeutsch gut verständigen können, aber beim Lesen und Schreiben Mühe haben. Dafür können sie gut rechnen und vielleicht hatten sie noch nicht viel Gelegenheit, ihre Fähigkeiten am Computer zu entwickeln. Es kann sein, dass Personen, die ihre gesamte Schulzeit in der Schweiz absolviert haben, viele Jahre in ihrer Arbeit weder schreiben noch lesen mussten. Sie haben vieles verlernt und sind unsicher geworden. Dann werden im Betrieb Computer eingeführt und plötzlich müssen neue Geräte bedient und Daten schriftlich erfasst oder per E-Mail kommuniziert werden. Dann werden die Schwierigkeiten offensichtlich.

Welche Branchen sind insbesondere betroffen? Gibt es eine Tendenz?

Betroffen sind Branchen mit vielen Arbeitsplätzen für Personen ohne formalen Bildungsabschluss. Dabei denke ich beispielsweise an die Baubranche, die Reinigung, die Gastronomie, die Logistik und viele mehr. Auch Handwerksberufe sind betroffen und Produktionsbetriebe in verschiedenen Branchen.

Wie wirken sich fehlende Grundkompetenzen von Mitarbeitenden auf den Arbeitgeber aus? Und auf die Wirtschaft allgemein?

Prinzipiell gehen wir davon aus, dass die Leute ihre Arbeit gut machen, sonst hätten sie ihre Jobs nicht. Aber es gibt Herausforderungen in alltäglichen Situationen am Arbeitsplatz. Die Betroffenen verstehen oft Sicherheits- und Hygienevorschriften nicht ausreichend, obwohl es dafür Schulungen gibt. Es kann aufgrund von Unsicherheiten bei den Grundkompetenzen auch zu Fehlern kommen, zum Beispiel bei Mitarbeitenden in der Qualitätssicherung. Die vorhandenen Schwierigkeiten zeigen sich manchmal auch in einer grossen Belastung der Vorgesetzten oder auch darin, dass die Arbeitsabläufe nicht optimal funktionieren.

Das sind alles Herausforderungen, die man mit gezielter Unterstützung vor Ort gut in den Griff bekommen kann.

Was können Firmen tun, um ihre Mitarbeitenden zu unterstützen?

Seit Anfang 2018 subventioniert der Bund im Rahmen eines nationalen Förderschwerpunkts «Grundkompetenzen am Arbeitsplatz» massgeschneiderte Schulungen in Betrieben. Die Idee ist, dass an den Arbeitsplätzen Situationen identifiziert werden, in denen es im Arbeitsalltag harzt, weil die Grundkompetenzen nicht ganz ausreichen. Genau diese Situationen werden in den Schulungen zu Lernanlässen für genau die Mitarbeitenden, die damit Mühe haben. Wenn situiert und individualisiert gelernt wird, dann können schon 20 bis 40 Stunden ausreichen, um in dem, was man täglich tut oder künftig tun soll, sicherer zu werden. Die Handlungsfähigkeit wird verbessert und das motiviert, weil es nützt. Der Nutzen wird auch für den Betrieb rasch sichtbar. Besonders profitieren Betriebe, die den Mitarbeitenden die Gelegenheit geben, am Arbeitsplatz anzuwenden, was sie im Kurs lernen. Das ist ein Aufwand für Vorgesetzte, der sich lohnt.

Für diese Bildungsarbeit braucht es erfahrene Kursleitende, die sich auf die Bedürfnisse der Betriebe und der Mitarbeitenden einstellen können. Es tauchen immer wieder neue Situationen auf, die in Lerngelegenheiten verwandelt und in Transferaufgaben übersetzt werden. Es gibt kein fertiges Konzept und keine Schulbücher. Gelernt wird mit dem Material, das vor Ort verwendet wird. Im Anschluss an diese arbeitsplatzorientierten Schulungen wollen viele Teilnehmende weiter lernen. So rückt für manche die Nachholbildung in Reichweite, weil sie sich mehr zutrauen.

Betriebe, Branchenverbände und Branchenfonds können beim Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI Gesuche einreichen, mit der sie den grössten Teil der beschriebenen Bildungsleistung finanzieren können. Auf der Website des SBFI können sie alle nötigen Details erfahren und persönliche Beratung in Anspruch nehmen.

Die konzeptionelle Grundlage des Förderschwerpunkts ist das arbeitsplatzorientierte GO Modell, das der SVEB mit vielen Partnern entwickelt und getestet hat. Auch der SVEB ist Anlaufstelle für Informationen und Beratungen für Weiterbildungsanbieter, Unternehmen und Branchenverbände.

Was bringt das Anfang 2017 in Kraft getretene Weiterbildungsgesetz?

Das Weiterbildungsgesetz (WeBiG) sieht vor, dass Erwachsene beim Erhalt und Erwerb der Grundkompetenzen mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden können. Grundkompetenzen im Sinne des Gesetzes sind mündliche und schriftliche Ausdrucksfähigkeit in einer Landessprache, die Alltagsmathematik und die Verwendung von IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien).

Die Kantone sind zuständig für die Umsetzung. Das WeBiG als Rahmengesetz sieht vor, dass die Grundkompetenzen in den Spezialgesetzen gefördert werden (Integration, Arbeitslosigkeit, Sozialhilfe usw.). Das macht Sinn, weil die Förderung der Grundkompetenzen eine Querschnittsaufgabe ist, die koordiniert werden muss, nicht zuletzt, um die betroffenen Personen mit bedarfsorientierten Bildungsangeboten zu erreichen. Die betroffenen Personen laufen nicht scharenweise in Lese- und Schreibkurse, im Gegenteil. Daher ist es wichtig, dass alle Akteure involviert sind und zusammenarbeiten: Betriebe, Integrationsfachstellen, RAVs, Sozialämter, Gemeinden etc. Letztendlich geht es darum, dass Personen mit geringen Grundkompetenzen, die lernen wollen, Angebote finden, die ihrem Bedarf entsprechen. Der Fördertatbestand Grundkompetenzen des WeBiG legt dafür die Grundlage.

 


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