Curiosity Gap

Raschelt es schon in Ihrem Besenschrank?

Texte schreiben ist einfach, solange es Leser gibt, die darauf warten. Wo das nicht der Fall ist, sollten sich Kommunizierende mit dem Prinzip des Curiosity Gaps vertraut machen. Der Begriff ist hierzulande weitgehend noch unbekannt. Und es wäre vielen Lesern auch recht, wenn es so bliebe.

Curiosity Gap
(Bild: flickr.com/theilr)

Journalistische Texte profitieren von der Erwartung der Leser und dem Abopreis der Zeitung. Der Mensch nutzt in der Regel das, wofür er bezahlt (gilt nicht bei Fitnessabos). Aber wenn Firmen ihre Dienste und Produkte zu Markte tragen, dürfen sie die positive Erwartungshaltung bei den Lesern nicht voraussetzen. Wer liest schon gerne Werbetexte? Am ehesten Konsumenten, die das Produkt mental bereits gekauft haben, um sich beim Geldausgeben gut zu fühlen. Ansonsten werden Texte, die nach kommerzieller Absicht riechen, gerne grosszügig durchgewunken. Heute mehr denn je.

Spagat im Content Marketing 

Irgendwo zwischen journalistischer und kommerzieller Kommunikation macht sich nun dieses Content Marketing breit. Es soll die Quadratur des Kreises schaffen, nämlich: Inhalte, die vom Leser freudig erwartet werden und gleichzeitig den Geschäftsgang des Absenders befeuern. Wen wundert's, dass andersartige Texte entstehen, wenn man im Spagat schreibt. 

Bei zahlreichen Firmen und Produkten, denken wir etwa an Filmverleiher oder Anlageberater, ist es gar kein Problem, den Empfänger-Nutzen und die Absender-Profilierung auf einen Nenner zu bringen. Das Bedürfnis nach Zerstreuung oder Profitmachen ist bei vielen Menschen so vital, dass sie nach Informationen lechzen. Auf der so genannten Kompetenzschiene kann sich ein Unternehmen also vortrefflich in Szene setzen, indem es den Lesern einen informativen Gefallen tut. Aber verlassen wir mal den Idealfall und nähern uns dem Besenschrank.

Wenn's keinen interessiert ... 

Im Besenschrank stehen Schrubber, Staubsauger, Besen und nichts von grossem Interesse. Vieles, was Unternehmen kommunikativ absondern ist so interessant wie ein Besenschrank. Wie gewinnt ein Unternehmen die Aufmerksamkeit der Leser, wenn diese an seinen Themen nicht interessiert sind? Wenn die Materie zu banal oder auch zu kompliziert ist für den potenziellen Käufer? Da gibt es nur eine menschliche Triebkraft, die ein Autor oder Content Creator nutzen kann. Sie bringt Kindern das Leben bei, führt Paare zusammen, treibt den Fortschritt voran und hält jung: die Neugierde. Wissen Sie eigentlich, was das ist?

Die Psychologie der Neugier 

Der Psychologe George Loewenstein hat dieses fundamentale menschliche Phänomen wissenschaftlich untersucht und 1994 in einem Bulletin mit dem Titel «The psychology of curiosity» veröffentlicht. Er hat als Erster herausgefunden, wie Neugierde wirklich funktioniert. Es lohnt sich, seine Erkenntnisse in der Kommunikationsarbeit zu nutzen. Allerdings muss man auch festhalten: Jene, die das am konsequentesten tun, können einem ganz schön auf den Sack gehen. 

Gemäss der Theorie von Loewenstein lässt sich Neugierde nur erzeugen, wenn man den Leser mit einer genau dosierten Informationslücke stichelt. Mit «Information Gap» bezeichnet er die Lücke zwischen dem, was man weiss, und dem, was man wissen möchte oder sollte. Ist diese Lücke zu klein, funktioniert es nicht. Ist diese Lücke zu gross, funktioniert es auch nicht.

Das Rascheln im Besenschrank 

Es geht also darum – immer noch bildlich gesprochen –, im Besenschrank ein Rascheln zu erzeugen. Ich weiss, was ein Besenschrank ist, und ich weiss, dass da normalerweise nichts raschelt. Doch jetzt raschelt es. Die Tür zum Besenschrank ist nicht verschlossen, sie ist leicht zu öffnen. Also kann ich ganz schnell nachgucken, was da raschelt – meine Wissenslücke ist mit vertretbarem Aufwand zu beheben. 

Ist der Besenschrank mit einem Vorhangschloss gesichert und der Schlüssel in irgendeiner Schublade versenkt, dann kann mir das Rascheln gestohlen bleiben. Dann wird das wohl ein Plastiksack sein, der irgendwie ... ach egal. Ich kann mit der «Bildungslücke» leben. Und wenn es im Besenschrank nicht raschelt, sondern bloss nach Putzmittel riecht, dann brauch ich jetzt auch nicht weiter nachzuschauen. Die Lücke ist zu klein, um spannend zu sein. 

Was das übersetzt heisst, wenn es ums Schreiben geht, kann man hoffentlich an diesem Artikel ableiten. Beginnend mit der Headline und im gesamten Verlauf des Textes habe ich immer wieder mit dem Curiosity Gap gestichelt. Ich habe Sachverhalte angetönt, ohne sie gleich aufzulösen. Ich habe geraschelt, und die Besenkammertür einen Spalt weit geöffnet, damit Sie weiterlesen. Hier angekommen, müssen Sie zugeben: mit Erfolg. Aber ehrlich gesagt, auch mit roten Ohrläppchen.

Es macht sehr nachdenklich» 

Plattformen wie Huffington Post, BuzzFeed, Upworthy, Storyfilter und immer mehr auch 
traditionelle Medienbrands haben das Prinzip äusserst erfolgreich verinnerlicht und treiben es so auf die Spitze, dass es nur noch nervt. Mit Headlines wie «Was Bill Gates getwittert hat, ist kaum zu glauben – es macht sehr nachdenklich.» Oder: «Er wollte nur einen monstercoolen Elfmeter versenken – was dann geschah, veränderte sein Leben.» praktizieren sie erbarmungsloses Clickbaiting, also unverschämte Story-Luderei – der Klickquote zuliebe. 

PrintScreen: Beispiel Curiosity Gap

Die deutsche Fernsehzeitschrift TV Movie titelte im letzten Sommer mit klickfängerischem Zynismus: «Einer dieser TV-Moderatoren muss sich wegen KREBSERKRANKUNG zurückziehen. Wir wünschen, dass es ihm bald wieder gut geht.» 

Die Leser konnten dann rätseln, um welchen der vier abgebildeten Moderatoren es sich handelt. 

Es ist wie immer eine Frage des Masses und des persönlichen Stils, wie die Theorie in die Praxis umgesetzt wird. Zu wissen, was die Neugierde mit einem macht, nützt auf jeden Fall: dem Schreibenden und dem Lesenden. 

Linkbox

The psychology of curiosity (PDF) 
Information Gap (Video)
Huffington Post

Plattformen, die den Curiosity Gap aktiv einsetzen: 
BuzzFeed
Upworthy
Storyfilter


#contentmarketing #digitalmarketing 


Autor

Markus Gabriel, AngelinkMarkus Gabriel
Gründer, Inhaber, Creative Director
Angelink AG






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