Fünf Fragen an Tim Lehmann

«Das, was Sie lernen wollen, müssen Sie also einfach machen, jeden Tag.»

Tim Lehmann ist Programmleiter der Bildungs- und Lerntechnologien bei Kickstart Accelerator. Das Schweizer Innovations-Förderprogramm unterstützt jedes Jahr bis zu 100 Jungunternehmer und fördert die Startups mit Mentoring und finanziellen Mitteln. Ausserdem ist er Gastdozent für Technik- und Organisationssoziologie an der Universität St. Gallen.

Was bedeutet für Sie Bildung?

Ich hatte das Glück, so ziemlich alle formalen Bildungsformen zu durchlaufen, die unser Bildungssystem für uns vorgesehen hat: Von der Schule über die Berufsausbildung bis zu Studium mit dem Abschluss der Dissertation. Mit der Wahl einer Steinerschen Reformpädagogischen Universität lernte ich, dass Bildung sprichwörtlich bedeutet, mir die Welt aneignen zu dürfen. Mit Kommilitonen reiste ich für ein Jahr um die Welt, um Unternehmer zu besuchen. Das für Jugendliche Leser verlegte Buch über diese Reise rechnete uns die Universität in «Credits» an.

Verraten Sie uns Ihren grössten Lernerfolg?

In der Berufsausbildung war ich unheimlich motiviert, Verpasstes aus meiner Schulzeit nachzuholen. Neben Betrieb und Schule bot uns der Arbeitgeber ein einjähriges bundesweites Unternehmerplanspiel in Zusammenarbeit mit einer Universität an. Aus einer Software Datei zur Kostenrechnung und Bilanzierung machte unser Team gleich mehrere und baute ein Holding-Gewirr, wir erstellten eine «echte» Website und brachen somit alle Regeln, die die Business School für die braven Lehrlinge vorgesehen hatte. Schlussendlich gewannen wir. So lernte ich, dass es sich lohnen kann, Regeln nicht einzuhalten. Das Thema Unternehmertum lies mich seitdem nicht mehr los und ich entschloss mich schon vor dem Studium gegen das Bankwesen.

Was lernt man besser im Job als in einer Ausbildung?

Ich habe diese Trennung früh und lange ignoriert. Das Studium war für mich ein unternehmerisches Projekt der Selbstverwirklichung meiner Persönlichkeit, die durch die reformerische Lerninstitution geprägt wurde. Wir wurden aufgefordert den Vorlesungsraum und den Campus mit unseren Stimmungen, Ideen und Projekten zu besetzen. Erst dann kam der Lehrplan, den wir übrigens für unseren Studiengang im Zuge der Bologna-Reformen selber miterarbeiteten. Diese Verbindung von Lernen und Arbeiten passt natürlich gut in das iterative, agile und flexible Arbeiten in der Startup-Szene. Allerdings müssen wir in der Startup- Kultur darauf achten, das formale Lernen nicht zu gering zu schätzen. Lernen durch reines Erfahren hat immer auch seine Grenzen und muss begleitet werden durch Reflexions- oder Lernräume für den Einzelnen und die Gruppe.

Mit welchen Online-Plattformen bilden Sie sich weiter?

Mit keiner so richtig. Meinen ersten, nicht günstigen Online-Kurs zum Bestseller-Schreiben bei MasterClass absolvierte ich sogar beinahe bis zum bitteren Ende. Das Konzept von MasterClass überzeugt mich trotzdem noch. Meister ihres Faches teilen Ihre Lebenserfahrung in einer Praxis und eingebettet wird es in ein formales Online-Curriculum. Zurzeit belege ich mehr schlecht als recht bei Coursera den Kurs «Learning how to learn» von Barbara Oakley. In einem Podcast mit dem edX CEO, Anant Agarwal, war ich doch schon sehr verwundert, dass dies der weltweit meistbelegte MOOC ist.

Was wollten Sie schon längst einmal lernen?

Vielleicht können Sie es erraten. Ich würde gerne lernen einen Roman zu schreiben. Um in meinen Antworten konsistent zu bleiben, muss das Wort Lernen in einen Zusammenhang mit dem Ausführen, dem Machen gebracht werden. Schriftsteller zu sein kann man nicht lernen, man muss einfach schreiben. Das, was Sie lernen wollen, müssen Sie also einfach machen, jeden Tag. Ein Klavierlehrer wird Ihnen nichts Anderes predigen. Ob Sie Ihrem Smartphone oder Ihrem Klavierlehrer eher folgen, bzw. wen sie sich von den beiden leisten können, das sind spannende Fragen, die ich mir heute in der Arbeit zu stellen versuche.

 

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